Sprungmarken-Navigation
Thema 1: Industrieland neue Länder
Die Industrie ist der Motor der wirtschaftlichen Entwicklung in Ostdeutschland. Sie wuchs seit der Wiedervereinigung vor rund 30 Jahren zweimal schneller als die Gesamtwirtschaft in den neuen Bundesländern und kam bislang stabiler durch die Corona-Krise als viele andere Wirtschaftsbereiche. Neue Branchen wie die Elektromobilität sind im Entstehen.
Fast 40 Prozent der ostdeutschen Industrieproduktion geht mittlerweile in den Export. Über eine Million Arbeitsplätze tragen zu Beschäftigung und Einkommen bei.
Die neuen Bundesländer sind wieder Industrieland. Sie knüpfen damit an ihre historischen Wurzeln an. Bereits seit dem 19. Jahrhundert entstanden hier die ersten großen Industriebetriebe in Deutschland. Der größte europäische Produktionsstandort für Mikrochips befindet sich heute in Ostdeutschland.
Nicht alle Entwicklungen verliefen reibungslos. Der katastrophale Zustand der ehemaligen DDR-Industrie und die Privatisierungen haben zu strukturellen Besonderheiten geführt, die bis heute spürbar sind. Die ostdeutsche Industrie ist kleinteiliger und insgesamt weniger produktiv.
Die Umstellung der Produktion auf eine klima- und umweltgerechte Produktionsweise wird in den kommenden Jahren einen fundamentalen Umbruch in der ostdeutschen Industrie erzeugen. Hinzu kommen die umfassenden neuen Technologien u.a. in den Bereichen Mobilität, Energieerzeugung, vernetzte Fertigungstechnologien, Kommunikation, Bio- und Gesundheitswirtschaft und viele mehr, die Chancen und Herausforderungen zugleich sind.
Hier wird deutlich: Die industrielle Modernisierung und Erneuerung der ostdeutschen Wirtschaft ist eine der zentralen Zukunftsaufgaben.
Der Atlas der Industrialisierung der neuen Bundesländer[1] will zu neuen Zielen ermuntern. In Zeiten großer Veränderungen, nicht zuletzt getrieben durch die Corona-Krise, soll die künftige Rolle der Industrie in Ostdeutschland für den wirtschaftlichen Entwicklungsprozess dargestellt werden.
Bedeutung der Industrie im wirtschaftlichen Entwicklungsprozess
Doch, warum das Thema Industrie? Spielt die Industrie überhaupt noch eine Rolle im gesamten Wirtschaftsgeschehen, vor allem verglichen mit den Dienstleitungen? Befinden sich die Volkswirtschaften nicht längst auf dem Weg der Tertiarisierung und Digitalisierung? Ist Software heute nicht viel wichtiger als Hardware?
Wer sich die Entwicklungen der vergangenen 50 Jahre ansieht, der kann sich solche und ähnliche Fragen stellen.
Doch, wer einen genaueren Blick auf die Wirtschaft wirft, stellt fest: Der industrielle Sektor ist nach wie vor ein, wenn nicht gar der zentrale Motor der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in der Mehrzahl der Länder. Hier finden rund 80 Prozent der Innovationsleistungen statt. Über zwei Drittel der weltweiten Exporte sind Industriegüter. Die Produktivität gerade auch der (ost-)deutschen Volkswirtschaft ist zu überwiegenden Teilen industriegetrieben. Hier liegen viele Chancen für gute Arbeit und stabile Einkommen.
Hinzu kommt: Viele Dienstleistungen stehen im direkten Bezug zur Industrie. Seien es Transport- und Logistikleistungen, Engineering und Beratungen, Innovation und Kommunikation. Die Industrie schafft Raum für Dienstleistungen und ihre Entwicklung. Deshalb spricht man auch vom Industrie-Dienstleistungsverbund.
Es ist daher kaum verwunderlich, dass in nahezu allen sogenannten „Industrieländern“ ein Prozess des Umdenkens eingesetzt hat. Dies gilt insbesondere für jene Länder, die in den vergangenen Jahren industrielle Kapazitäten an die neuen Wettbewerber, vor allem China, verloren haben.
Die Industrie ist ein wichtiger Teil der Wirtschaft. Und – sie ist die entscheidende Grundlage für den Aufholprozess der Wirtschaftskraft in den neuen Bundesländern.
[1]Die Begriffe „neue Bundesländer“ und „Ostdeutschland“ werden im Industrieatlas neue Bundesländer abwechselnd und mit gleicher Bedeutung verwendet. Die neuen Bundesländern sind Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.
Regionale Branchenschwerpunkte in Ostdeutschland
Zunächst ein kurzer Blick auf die heutige Industrie in Ostdeutschland: Nach dem Zusammenbruch der in großen Teilen nicht mehr wettbewerbsfähigen DDR-Industrie ist ein moderner leistungsfähiger industrieller Mittelstand in den neuen Bundesländern entstanden.
Die ostdeutsche Industrie hat sich sowohl in den klassisch-traditionellen Branchen wie Fahrzeugbau, Chemie und Maschinenbau als auch in den Spitzentechnologien wie in der Mikroelektronik, Photonik, Medizintechnik, Gesundheitswirtschaft und Elektromobilität gut entwickelt. Im Ergebnis besteht eine tragfähige Mischung aus Tradition und Moderne. Diese Mischung ist kennzeichnend für die heutige regionale Verteilung der ostdeutschen Industrie.
Wie aus der Karte der regionalen Schwerpunkte zu erkennen ist:
- besteht ein traditionelles Süd-Nord-Gefälle mit hoher Industriedichte im Süden.
- sind im ländlichen Raum Industrieunternehmen breit und kleinräumig verteilt.
- gelten einige Regionen, wie das Umland von Berlin oder auch Rostock dank industrieller Investitionen im bundesdeutschen Vergleich als Aufsteigerregionen.
- entwickeln sich viele kleinere Gemeinden im Umland der Großstädte dank vieler mittelständischer Industriebetriebe recht positiv.
Zahlen und Fakten
Industriearbeitsplätze
größter Mikroelektronikstandort Deutschlands
reales Wachstum der ostdeutschen Industrie seit 2000
Industrielle Stärken der ostdeutschen Bundesländer
Im Vergleich
Zu den industriellen Stärken Brandenburgs zählen:
- Automobilindustrie (Ludwigsfelde, demnächst Grünheide)
- Stahl (Eisenhüttenstadt, Hennigsdorf)
- Bahntechnik (Henningsdorf, Brandenburg, Cottbus)
- Flugzeugbau (Ludwigsfelde, Dahlewitz)
- Logistik (mehrere GVZ im Berliner Umland, Flughafen Berlin-Brandenburg, Binnenhäfen)
- Chemie, Raffinerien, Kunststoffe (südliches Brandenburg und Schwedt)
- Erneuerbare Energien
- Nano- und Quantentechnologie
- zukünftig: Batterietechnik
Viele industrielle Aktivitäten konzentrieren sich um Berlin sowie im Süden des Landes. Im Norden gibt es kaum Industriebesatz, hier sind Holz-, Papier- und Möbelindustrie angesiedelt sowie Unternehmen der Gesundheitswirtschaft. Im Südosten steht Brandenburg vor enormen Herausforderungen durch den Ausstieg aus der Braunkohle. Die anstehenden Transformationsprozesse bergen sowohl Chancen als auch Risiken.
Zu den industriellen Stärken Mecklenburg-Vorpommerns zählen:
- Schiffbau und maritime Wirtschaft (Rostock, Wismar, Stralsund)
- Erneuerbare Energien
- Ernährungswirtschaft (etwa ein Drittel der industriellen Wertschöpfung und industriellen Beschäftigung)
- Gesundheitswirtschaft und Medizintechnik (z.B. Greifswald, Rostock)
- Tourismus
- Logistik (Gateway nach Skandinavien über Rostock und Sassnitz)
- Automobilzulieferindustrie
- Holz- und Möbelindustrie
Mecklenburg-Vorpommern verfügt über viel ländlichen Raum. Wenige Großunternehmen konzentrieren sich auf einzelne Standorte. Der Industriebesatz ist in der Fläche gering, die Wege sind weit. Die Überalterung der Bevölkerung und die Abwanderung junger Menschen stellt das Bundesland vor große demografische Herausforderungen. In einigen Branchen können Arbeitsplätze nicht besetzt werden. Mit Schleswig-Holstein und Hamburg im Westen, bzw. mit Stettin im Osten bestehen starke Arbeitsplatzverflechtungen.
Zu den industriellen Stärken Sachsens zählen:
- Fahrzeugbau (Dresden, Leipzig, Zwickau, Chemnitz etc.)
- Bahntechnik (Görlitz)
- Maschinen- und Werkzeugbau
- Glas, Keramik, Porzellan, Armaturen
- Elektrotechnik (Dresden, Leipzig, Chemnitz)
- Mikroelektronik (Dresden)
- Informations- und Kommunikationstechnik, IT, Software (neben Berlin der größte Standort dieser Industrien in Ostdeutschland)
- Batterietechnik
- Logistikwirtschaft (entlang der A4-Achse, aber auch in Leipzig – Flughafen)
- Luftfahrttechnik (Dresden, Leipzig)
- Nano-, Quantentechnologie
- Tourismuswirtschaft (Süden)
Sachsen ist klassisches Kernland der Industrie in Deutschland. Leipzig, Dresden und Chemnitz spannen ein Industriedreieck, hinzu kommen industrielle Zentren entlang der Autobahnen. In Sachsen sind viele Weltmarktführer und Hidden Champions ansässig. Sachsens Industrie ist gekennzeichnet durch einen guten Mix aus großen, global agierenden Unternehmen und kleinen und mittleren Unternehmen sowohl in klassischen, modernisierten Industriezweigen als auch neuen Industrien (z.B. Mikroelektronik, Nanotechnologie, neue Materialien, IT). Sachsen hat die höchste Außenhandelsquote der neuen Bundesländer. Ein enges Netz an universitären und anderen Forschungseinrichtungen fördert die positive Entwicklung. Im Nordosten Sachsens, in der Lausitz, steht das Bundesland vor ähnlichen Herausforderungen wie Brandenburg im Südosten. Auch hier birgt der Transformationsprozess nach dem Braunkohleausstieg Chancen und Risiken.
Zu den industriellen Stärken Sachsen-Anhalts zählen:
- Chemie, Raffinerien, Kunststoffe (Süden)
- Biotechnologie
- Ernährungswirtschaft
- Maschinen- und Fahrzeugbau
- Batterietechnik
- Nano- und Quantentechnologie
Die industriellen Aktivitäten Sachsen-Anhalts konzentrieren sich im Südosten des Landes; der Norden und Westen sind kaum industrialisiert. Im Industriedreieck ist ein hoher Anteil an Großunternehmen bzw. global agierender Unternehmen ansässig – in den anderen Landesteilen ist dies in dieser Dichte nicht der Fall.
Zu den industriellen Stärken Thüringens zählen:
- Maschinen- und Fahrzeugbau (Eisenach)
- Batterietechnik
- Informations- und Kommunikationstechnik, IT, Software
- Optische Industrie, Elektrotechnik
- Holz, Papier, Möbel
- Tourismuswirtschaft
In Thüringen konzentrieren sich industrielle Aktivitäten entlang der Ost-West-Achse der Autobahn A4, die als Logistikachse dient. Viele moderne kleine und mittlere Unternehmen prägen das Bild. Aber auch einige größere Unternehmen und spektakuläre Ansiedlungen (Batterie CATL) sind gelungen. Thüringen weist eine hohe Dichte an Einrichtungen für Forschung und Entwicklung auf (u.a. Gotha, Erfurt, Weimar, Jena, Gera, Ilmenau). Hinzu kommen ausgewählte Zentren wie z.B. Suhl. Es bestehen starke Arbeitsplatzverflechtungen im Westen und Süden mit westdeutschen Bundesländern mit hohem Auspendleranteil. Die Tourismuswirtschaft ist im Süden und Norden besonders ausgeprägt.
Zu den industriellen Stärken Berlins zählen:
- Elektrotechnik (u.a. Siemens)
- Nano- und Quantentechnologie
- IuK, IT, Software
- Industrienahe Dienstleistungen
- Maschinenbau
- Fahrzeugbau (BMW, Mercedes)
Berlin profitiert von einer dichten Forschungslandschaft aus Universitäten, Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Die Hauptstadt ist zudem Anziehungspunkt für Start-Ups mit hohem Potenzial für Venture-Capital.