Die Rolle der Arbeitskräfte in der Industrie hat sich mit jeder Welle der industriellen Revolution gewandelt. Die Dampfmaschine machte Menschen zu Fabrikarbeitern, das Fließband machte aus ihnen Akkordarbeiter, der Computer automatisierte Arbeitsschritte, die zuvor nur von Menschen ausgeführt werden konnten. Die digitale Transformation ermöglicht künftig eine flexible und intelligente Produktion durch die Vernetzung von Maschinen, Prozessen und Akteuren – entwickelt, koordiniert und optimiert von fachlich hochqualifizierten Beschäftigten.

Diese Fachkräfte für Unternehmen und die Industrie auszubilden und zu gewinnen, sie dauerhaft zu motivieren und für neue Herausforderungen fit zu machen, ist die Grundlage einer erfolgreichen industriellen Entwicklung. Dazu ist es nötig, das Potenzial der Bevölkerung vor Ort zu nutzen und in Bildung zu investieren sowie Fachkräfte aus dem In- und Ausland anzuwerben. Im Wettbewerb um die besten Köpfe gilt es, Strategien zu entwickeln sowie die spezifischen Stärken von Unternehmen und Region genau zu kennen und nutzbar zu machen. Das eigentliche Potenzial der Industrie, auch in Ostdeutschland, liegt deshalb nun mehr denn je in gut ausgebildeten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die kreative Lösungen für komplexe Herausforderungen finden.

Strukturwandel und Veränderung der industriellen Produktion

Bereits mit dem Übergang von der Industriegesellschaft zur Dienstleistungsgesellschaft war ein umfassender Strukturwandel der Arbeitswelten verbunden, der sich in allen westlichen Industrienationen schrittweise ab 1950 und verstärkt ab den 1970er Jahren vollzogen hat. Der Anteil der körperlich tätigen Industriearbeiter ging zurück zugunsten von Angestellten, die überwiegend geistig arbeiten.

In Ostdeutschland verschoben sich die Anteile von Industrie und Dienstleistung deutlich mit der Wiedervereinigung im Jahr 1990, bedingt durch den starken Einbruch der industriellen Produktion. In den vergangenen Jahren erholte sich die Industrie wieder – parallel dazu veränderte sich jedoch die Arbeitswelt und wird sich auch künftig wandeln.

War Industriearbeit früher körperlich anstrengend, häufig monoton, laut und schmutzig setzte mit dem Einzug neuer industrieller Fertigungstechnologien, digitaler Maschinensteuerungen und optimierter Produktionsabläufe ein tiefgreifender Strukturwandel der industriellen Arbeitswelt ein. Neue und andere Qualifikationen rücken seither in den Vordergrund.

Homo digitalis – Fit für die Arbeitswelten von heute und morgen

Die digitale Transformation und insbesondere das Entstehen einer vernetzten Produktion (Industrie 4.0) ermöglichen individualisierte und flexible Wertschöpfungsketten von der Entwicklung über die Produktion bis zum Recycling. Arbeit wird neu organisiert. Die Anforderungen an Beschäftigte in der Industrie verändern sich und ebenso die Anforderungen an ihre Aus- und Weiterbildung. Die körperlichen Anforderungen an Beschäftigte werden voraussichtlich sinken, die kognitiven Anforderungen hingegen steigen. Teamarbeit und Eigenverantwortung der Beschäftigten werden gestärkt, klassische Hierarchien durch agiles Arbeiten verdrängt. Führungsaufgaben ändern sich. Routinetätigkeiten werden künftig abnehmen, beispielsweise in Logistik und Handel. Im Bereich neuer Technologien wie der künstlichen Intelligenz werden hingegen neue Aufgaben entstehen.

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Qualifikation gefragt

Bedeutend für die zukünftige Fachkräfteversorgung ist das Ausbildungsniveau der Beschäftigten. Hier verzeichnen die ostdeutschen Arbeitsmärkte insgesamt gute Werte. Sowohl der Anteil an Beschäftigten mit akademischem Abschluss (formale Qualifikation) ist überdurchschnittlich hoch, als auch der Anteil der Beschäftigten mit Expertentätigkeiten (Anforderungsniveau).

Das berufliche Qualifikationsniveau in der Industrie ist im Gegensatz dazu noch unterdurchschnittlich. In der ostdeutschen Industrie dominieren Produktionen mit einfachem und mittlerem Niveau. Der Anteil an komplexen und innovativen Produktionsunternehmen ist geringer als in Westdeutschland. Daraus resultiert auch ein geringerer Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, die in den wissensintensiven Industrien beschäftigt sind. Sie gelten als besonders zukunftsträchtig. In Westdeutschland arbeiten in den Branchen Chemie, Pharma, Elektronik, Maschinen- und Fahrzeugbau gut 11 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, in Ostdeutschland sind es hingegen rund 6,5 Prozent. Diese Industrien sind in den vergangenen Jahren besonders stark gewachsen (vgl. Abschnitt „Strukturwandel zu modernen Industrien“), so dass davon ausgegangen werden kann, dass die Nachfrage nach Fachkräften mit hohen und höchsten Qualifikationsniveaus steigt.

Führungskräfte gesucht

Eine Schlüsselrolle in der künftigen Entwicklung der Industrie in Ostdeutschland kommt den Führungskräften zu. Hier treffen zwei Phänomene zusammen: der Wechsel der aktuellen Managergeneration, vielfach auch als Nachfolgeproblem thematisiert, und die neuen Herausforderungen durch eine vernetzte industrielle Fertigung. Die hohe Nachfrage nach exzellent ausgebildeten und erfahrenen Führungskräften kann sich zum wesentlichen Engpassfaktor entwickeln. Dementsprechend wächst die Bedeutung der Aus- und Weiterbildung von Führungskräften, etwa durch den Auf- und Ausbau von Managementstudiengängen. Relevante Themen sind die Entwicklung von Unternehmerkompetenzen, Internationalität und Diversity Management.

Schulabbrecherquote senken

Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Abschluss bilden eine besonders problematische Gruppe für die zukünftige Funktionsfähigkeit regionaler Arbeitsmärkte. Ihr Anteil ist in den neuen Ländern vergleichsweise hoch. Zwar geht der Anteil der Schulabbrecher generell deutschlandweit zurück – in Ostdeutschland jedoch längst nicht so stark wie in Westdeutschland. Dies verschärft den bereits bestehenden Trend, dass ostdeutsche Unternehmen ihren Fachkräftebedarf durch die duale Berufsausbildung immer schlechter decken können.

MINT treibt an

Gut ausgebildete Beschäftigte aus den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – kurz MINT – gelten als Garant und Treiber für Innovationskraft, Wohlstand und Wachstum. Zwischen 2011 und 2017 hat die Erwerbstätigkeit von Akademikern in diesem Bereich deutschlandweit um 24,6 Prozent zugenommen.

IT muss aufholen

Vor allem Fachkräfte im IT-Bereich werden künftig in einer vernetzten und intelligenten Arbeitswelt noch stärker gebraucht. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist in Ostdeutschland, mit Ausnahme von Berlin, derzeit niedriger als in den alten Bundesländern. In den ostdeutschen Flächenländern beträgt er lediglich ein Drittel im Vergleich zu den führenden westdeutschen Bundesländern. Lokale Zentren mit vergleichsweise hohem Anteil an Beschäftigten in der Informationstechnik befinden sich unter anderem in und um Berlin, in Erfurt, Jena und Dresden.

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Mehr Ausbildung von Informatikern erforderlich

Sowohl aus individueller Sicht der Beschäftigten als auch aus Sicht der Unternehmen ist eine konsequente Personalentwicklung unverzichtbar, die gezielt Kompetenzen für die digitalisierte Arbeitswelt ausbaut. Gleiches gilt für die Ausbildung von Fachkräften. Bis 2025 wird demographiebedingt von einem Ersatzbedarf von mehr als 280.000 Fachkräften ausgegangen, während das Angebot zur Verfügung stehender, entsprechend ausgebildeter Akademiker und Fachkräfte auf 125.000 bis 138.000 geschätzt wird. Will Ostdeutschland hier nicht den Anschluss verlieren, muss die Ausbildung von Informatikerinnen und Informatikern an Hochschulen forciert werden – abgesehen von Berlin (Rang 3 in 2017) landen die ostdeutschen Länder bei der Anzahl der Informatikabschlüsse deutlich abgeschlagen am Ende.

Digitale Kompetenzen gefördert

Ein politisches Instrument um digitale Kompetenzen auszubauen sind die Jobstarter Projekte. Damit stärkt das Bundesministerium für Bildung und Forschung regionale Strukturen der Aus- und Weiterbildung insbesondere im Bereich der Digitalisierung. Es bringt kleine und mittlere Unternehmen, die ausbilden und ihr digitales Know-How erweitern wollen, mit Studienabbrechern, Studienzweiflern und Zugewanderten zusammen. Unternehmen und Auszubildende werden durch ein externes Ausbildungsmanagement unterstützt.

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Schrumpfende Bevölkerung und Wachstumsinseln

Die ostdeutschen Arbeitswelten von heute und morgen sind vom demographischen Wandel stärker betroffen als die westdeutschen. Allerdings ist die Lage heterogen. Neben vielen Regionen mit stagnierender oder schrumpfender Bevölkerung und überdurchschnittlicher Alterung gibt es auch einige Wachstumszentren. Von den 77 Kreisen und kreisfreien Städten Ostdeutschlands schrumpfen 55. Jena, Leipzig, Dresden, Potsdam und Berlin wachsen hingegen durch Geburtenüberschüsse und Wanderungsgewinne. In einigen kleineren Großstädten wie Rostock, Schwerin, Brandenburg an der Havel, Erfurt und Weimar sowie im Umland von Berlin konnten Geburtendefizite durch hohe Zuwanderungsgewinne mehr als ausgeglichen werden.

Generell wirkt die massive Abwanderung jüngerer Bevölkerungsgruppen nach der Wiedervereinigung bis heute nach. Die Geburtenraten in Ostdeutschland sind nach der Wende eingebrochen und haben sich nur langsam dem gesamtdeutschen Niveau angepasst.

Bedeutung ausländischer Fachkräfte wächst

Die Fachkräfteversorgung in Ostdeutschland wird in vielen Regionen heute schon durch einen starken Anstieg ausländischer Beschäftigter gestützt. Im Jahr 2008 betrug der Ausländeranteil unter den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Ostdeutschland gemessen am Arbeitsort lediglich gut 2 Prozent und stieg auf fast 8 Prozent im Jahr 2019 an. Vor allem die grenznahen Regionen profitieren von der Fachkräfteversorgung aus Tschechien und Polen.

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